Des Zyklus Erster Teil

„...und über allem weht der Wind so kalt“

Vor zwanzig Tagen kam der Tod

In die Stadt

In unserem Dorf leben kaum mehr

hundert Mann

Die Ratten zwar kamen als ihre

Boten

Doch dann begann die Herrschaft

der Pest

 

Eine nach der anderen füllten sich die

Pestgruben

Die Hütten im Dorf längst

niedergebrannt

Ich weiß nicht mal, wie viele noch

am Leben sind

Sie haben sich verkrochen vor dem

Untergang

 

Seit der Doktor starb führt

niemand mehr den Leichenkarren

Süßen Totengeruch treibt der

Herbstwind übers Land

Längst kann ich kein Fenster mehr

öffnen

Der Nachtwind zeugt vom Tod der

allgegenwärtig ist.

 

Nun bin ich allein.

Mein Vater vor acht Tagen

gegangen und heut ist die Mutter

ihm gefolgt

Zum Schluss hat sie ihren Sohn

nicht mal mehr erkannt.

 

Und über allem weht der Wind so

kalt

Mein letzter Schrei... schon lang

verhallt

Zwei Tage zuvor ist der neue

Pestdoktor gekommen

Er schnitt ihre Beulen auf und

sprach, dass er bald wieder nach uns

sähe

Mir war so übel, ich habe ihn kaum

vernommen.

Was nützt unser Reichtum uns

jetzt

Wenn der Tod uns holt?

Einen nach dem anderen...

 

Und über allem weht der Wind so

kalt

Mein letzter Schrei... schon lange

verhallt

 

Oben auf der Burg sieht man

niemand mehr

Vielleicht sind jetzt alle schon tot

Seit Tagen habe ich nicht mehr

geweint

Da sind keine Tränen mehr

 

Jetzt ist nichts mehr übrig

Nur mein Leben habe ich noch

Wie lange weiß allein die Pest

Fortzugehen ist Sinnlos

Denn überall ist es wie hier

 

Ich werde mich betrinken

Und auf den Tod warten

Es heißt, es gibt ein Licht

Am Ende des Weges

Ich werde sehen, ob das stimmt...

 

Des Zyklus Zweiter Teil

 

„Legende des Leides“

 

Ich höre Pferdehufe vor meiner Tür

Es klopft und ich öffne sie

Der Räucherdoktor und die

Totengräber

Sie stoßen mich beiseite,

einer schlägt mich nieder

 

Und ehe alles in Schwärze versinkt

Hör ich die Stimme des Doktors

Wie einen Hauch

„Nun nehm ich mir den Lohn für

meine Mühen,

werft ihn auf den Wagen zu den

Toten!“

 

Irgendwann später erwache ich

Gestank liegt auf mir wie ein Netz

Ich liege auf etwas Weichem

Etwas, das einst lebendig war

Als ich mich wende, erblick ich ihr

Gesicht

Die Fratze meiner Mutter, vom

Tode entstellt

 

Auch über mir sind Leiber,

ich kann nicht entkommen

Nicht alles ist tot, was auf dem

Karren liegt

Die Schergen des Doktors plündern

die Häuser

Und die, die noch, werden

umgebracht

 

Nicht alle sind tot, die hier liegen

Unter den Pestopfern höre ich

manchen Laut

Doch unser Weg führt hin zur

Grube

Und denen, die starben, bleibt mein

Schicksal erspart...

 

Dann endet die holpernde Fahrt in

die Nacht

Der Pestkarren hält, seine Last

kippt ab

Ich kann mich nicht rühren

Zu viele Körper auf mir

Ich höre die Schreie derer,

die immer noch leben

Doch sie verstummen sehr bald

Als die Totengräber ihr Werk

vollenden...

 

Des Zyklus Dritter Teil

 

„In der Grube“

 

Ich kann mich nicht rühren

Nur meine Hand kann ich schließen

Ich spüre eine kleine Kinderhand darin

Als ich sie drücke, spür ich ihr Leben

Unter mir hat eine Frau begonnen

zu beten

Über mir die kalte Erde sich häuft

Lass diese Hand nicht für immer erkalten,

die in meiner liegt!

Lass die Stimme der Frau nicht für

!immer verstummen!

 

Doch wer hört mich jetzt,

wenn meine letzten Sekunden

verrinnen?

 

Ganz langsam nur verlässt mich

das Leben

Die kleine Hand in meiner erschlafft

Aus diesem Leib ist das Leben gewichen

Die Gebete der Alten sind längst

verstummt...

 

Nur wenig Luft noch füllt meine

Lungen

Alles um mich herum ist schwarz

wie die Nacht

Ich spüre wie die Pest sich meiner

bemächtigt

Bevor sie mich holt wird ich

ersticken im Grab

 

Bunte Sterne beginnen vor meinen

Augen zu tanzen

Ich verfluche die, die mich brachten

hierher

Die mich zum Tode verbannten aus

Habgier und Neid

Wenn nur eine Möglichkeit

bestünde, um wiederzukehren

Ich würde schlachten die, die dies an

mir taten!

 

Dann endlich verlässt mich das

Lebenslicht

Längst begannen die Ratten mein

Fleisch zu fressen

Der Tod ist bei mir und fordert den Lohn

 

Ein letzter Atemzug noch füllt

meine Lungen

Dann ewige Nacht um mich herum

 

Plötzlich... ein kaltes Licht...

 

Des Zyklus Vierter Teil

 

„Auferstehung“

Wie viel Zeit ist vergangen?

Ich weiß es nicht

Und es bedeutet mir nichts mehr

Ich bin tot

Und dennoch wandle ich

 

Meine Züge von der Pest gezeichnet

Beulen überall an meinem Leib

Meine Glieder zerstört von den

Bissen der Ratten

Augen zerfetzt und dennoch sehe ich

 

Ich entsteige der Grube

Wühle mich durch all die Leichen

Etwas gibt es noch zu tun

Dann kehre ich zurück von wo ich kam

 

Ich finde die, die ich suche

Versammelt im Rathaus bei Nacht

Erstarrte Gesichter, als ihre Runde

ich störe

Manche versuchen zu entkommen

Manche zu Eis erstarrt

Doch es gibt für niemanden eine Chance

Genau so wenig, wie sie mir eine gaben

 

Dann ist getan, was getan werden

musste

Frisches Blut überall auf meinem

Gesicht

Doch es ist nicht das meinige

Sondern das meiner Peiniger

 

Und ich kehre zurück in das Reich der Toten

Bette mein Haupt auf faulendes Fleisch...

 

Bald werde ich eins mit der Ernte der Pest...

Epilog:

 

„Mein kleines Leben“

 

Mein Blick ist getrübt

So nah bei den Flammen, dass ich kaum noch etwas erkenne

Vor den Toren der Stadt gellen Schreie durch die Nacht

So grell, so schmerzerfüllt, dass der Wind sie trägt

Bis hierher zu mir wo meine Seele gefriert...

 

Das Dunkel erfüllt von starrer Bewegung

Fackeln, brennendes Pech zerreißt den Schleier der Nacht

Das Klappern der Leichenkarren kommt näher und näher

Vermummte Gestalten sammeln ein, was der Tod ihnen bringt

 

Der weiße Schnee als Kontrast zu verkrampften Gliedern

Reinheit wie Seide, darauf geronnenes Blut

Zerplatzte Haut, Fetzen von Körper

Blicklose Augen in gefrorenen Höhlen

Anklagend, flehend, ohne Spur vom Leben

 

Draußen vor den Toren brennen Leichenfeuer

Geschundene Leiber im letzten Geleit

Manche von ihnen sind nicht ganz vergangen

Doch die Flammen beenden was die Pest begann...

 

Sie bewachen die Stadt mit finsterer Miene

Wer hinein will, verliert sein Leben durch den Lanzenstich

Einzig die Totensammler haben freies geleit

Was sie nach draußen bringen, fällt der Glut anheim

Der Tod schleicht unaufhaltsam durch die Straßen der Stadt

noch reichlich Futter vorhanden, das zu holen er hat

 

Kein Unterschied der Stände zu erkennen in den leblosen Fratzen

Im Sterben vereint sind sie alle sich gleich

Ob reicher Lehnsherr, ob armseliger Bauer

Die Pest ist nicht wählerisch, wen sie zu sich nimmt

Die Plage weilt unter uns allen

Und keine Hoffnung mehr, die die Seele befreit

 

Gehetzt voller Furcht untersuch ich meinen Leib

Bald tausend Male den ganzen Tag

Noch keine Anzeichen des schwarzen Grauens

Nur eine Frage der Zeit, bis der Tod sich zeigt...

 

Meine Familie ist bereits von mir gegangen

Vor wenigen Tagen, als der Schnitter sie rief

Die Leichen brannten mit den anderen

Die Asche im Wind ist was von ihnen blieb...

 

Koll weilt nicht länger unter uns Menschen

Hier zeigt sich, wo seine Macht versagt

Einzig Sterben und Grauen und Furcht

Sind die neuen Herren, deren Macht ungebrochen und stark

 

Ich will nicht länger verweilen

Hier drinnen, wo Gram die Mauern durchdringt

Ich muss nach draußen, in die flirrende Kälte

Die Schreie der Sterbenden begleiten mich auf meinem Weg

 

Frost brennt in rotgeränderten Augen

Ein kalter Hauch, der in den Haaren spielt

Die Schritte unsicher, weil kein Weg sich mir zeigt

Und dennoch, unbeirrt nähre ich mich

den Wällen der Stadt

 

Ein Pestkarren begegnet mir, verwaist und verlassen

Toten stapeln sich weit in die Nachtluft empor

Der Fahrer im Schnee ohne ein Zeichen von Leben

Ein weitres Opfer nur,

kein Grund um länger zu verweilen

 

Wie unter Zwang verlasse ich den Ort

Die Schatten nutzend,

vor den Blicken der Wächter verborgen

Einzig spuren im Schnee bezeugen meine Gegenwart

Ein stummer Ruf hat meiner sich bemächtigt

Und nicht kann mich halten ihm Folge zu leisten

 

Längst liegt die Stadt weit hinter mir

Eiseskälte erfüllt mich bis ins Mark

Doch mein Weg führt weiter hinaus in die Nacht

Der Ruf leitet mich sicher bis an mein Ziel

 

Dann steht sie vor mir – in verblichenem Leinen

Die Haut blau erfroren – wie abgestorben

Ihre Schönheit jedoch kann dies nicht mindern

Nur die Beulen leuchten im fahlen Licht

 

Unverkennbar – sie ist ein Kind der Seuche

Doch genügend Leben in ihr

um mich zu versuchen

Ihr sündiger Leib eine einzige Verheißung

Der ich nicht länger widerstehen kann

 

Sie kommt näher, ihre Lippen finden meine

Wie im Wahnsinn erwidere ich diesen Kuss

Dann sinken wir nieder auf den frostigen Boden

Unsre Körper verschmelzen ein einziges Mal

 

Als wir uns trennen ist ihr Leben beendet

Starr ist ihr Körper wie der Boden unter ihr

Ihre Lippen verzerrt zu wissendem Lächeln

Denn nun ist es an mir, die Pest zu verbreiten

Nun bin ich ihr Bote und ein Teil von ihr...

So lang bis es endet, mein kleines Leben...