Abschied
Verfasst: Do Nov 24, 2005 7:58 pm
Lange Jahre ist es nun her, doch erinnere ich mich an jenen Tag, als wäre es gestern gewesen. Mein Herr, Feanor, kam des Abends in meine Kammer, um mit mir über seine Absichten zu sprechen. Tiefe Schatten umspielten seine Augen, denn er verzehrte sich in Sehnsucht nach seiner Frau Rajana, die von den Untoten hinwegerafft wurde und durch sein eigenes Schwert Erlösung finden musste. Nichts konnte ihn mehr erheitern, außer dem Lachen seiner Kinder, besonders seiner Tochter, in deren Antlitz ein Abglanz der Schönheit Rajanas zu sehen war. Des Tages blieb er oft bei Ihnen, doch des Nachts erstieg er die höchsten Türme seiner stolzen Residenz Nargothrond, um Zwiesprache zu halten mit den Sternen. Oft saß er dort die ganze Nacht, den Blick nach Westen gewandt, am Horizont nach jenen Gefilden suchend, von wo unser Volk dereinst gekommen. Immer weniger nahm er Anteil an den Geschehnissen auf Tamar. Und so stand er nun vor mir, als einer der mächtigsten unseres Volkes, doch eine Bürde tragend, die zu schwer war für seine Schultern. "Eonwe", hob er nun an, "mehr ein Freund denn ein Diener warst du mir in all den Jahren. Um einen weiteren, einen letzten Dienst bitte ich dich nun. Der Geist der Eldar, wenn sie aus dem Leben geschieden sind, geht hin in den Westen, zu den Hallen von Mandos, in den Landen von wo unser Volk gekommen. Es heißt, dass sich auch die Menschen für eine Zeit dort sammeln, ehe sie die Welt für alle Zeit verlassen und wohin ihre Reise dann führt wissen wir nicht. Doch mag es sein, dass ich meine geliebte Rajana dort finde und die Mächte gnädig stimmen kann, dass sie bei mir bleiben könne. Deshalb will ich in den Westen gehen und sie suchen." Danach schwieg er und schaute mich eine zeitlang an, während in mir Hoffnung und Gram miteinander rangen. Doch ich sagte nichts und so fuhr er fort: "Herrsche du einstweilen über mein Reich. Jene, die gewillt sind mir zu folgen werde ich mit mir nehmen und auch die anderen, die sich später entscheiden, mögen sich einschiffen und auf den Weg machen. Ich weiß, dass du mir gern sofort folgen würdest, doch bitte ich dich zu bleiben, bis du von mir hörst, oder du annehmen musst, dass ich mein Ziel entweder erreicht, oder den Tod gefunden habe." So sprachen wir noch lange über alles, was nötig war und schon wenige Tage später schiffte er sich ein. Nicht viele wollten Tamar sogleich verlassen, die Lande, in denen sie so lang gelebt hatten, und so fiel seine Flotte klein aus. Sieben Schiffe stachen in See, drei für Feanor und je zwei für seinen Sohn und seine Tochter. Und bevor er sein Schiff betrat, verneigte sich Feanor vor mir und sprach: "Heil dir, Eonwe, der du nun über ein Reich herrschst. Mögen deine Tage friedvoll sein, bis wir uns wiedersehen." Doch ich sank vor ihm auf die Knie. "Geliehen ist es nur und herrschen werde ich nur bis zu dem Tage, an dem Ihr wiederkehrt oder ich Euch folge." Und für einen kurzen Moment fiel der Kummer von ihm ab und als er sich einschiffte, war es mir als sähe ich ihn in seiner Jugend, als er seines Vaters Schiff betrat, um fortzuziehen und ein eigenes Reich zu gründen. Lange sah ich den Schiffen nach und erklomm die hohen Zinnen Nargothronds, um meinen Blick auf Ihnen ruhen zu lassen, bis die Segel hinter dem Horizont verschwanden.
Nur noch zweimal bekam ich Nachricht von Feanor. Die eine kam aus der Hauptstadt Sirion, wo er hielt, um einige letzte Dinge zu regeln, die andere stammte von einem Seefahrer. Mein Herr schrieb, dass die See ungewöhnlich ruhig war auf ihrem Weg und dass dies wohl ein Zeichen sei, dass die Valar ihm den Weg in den Westen gewähren würden. Die Jahre verstrichen und immer mehr unseres Volkes machten sich auf, Feanor zu folgen. Viele Städte wurden entvölkert und dem Verfall preisgegeben und das einst so große Reich Feanors schrumpfte. Nun ist die Zeit, da die letzten der Eldar diese Gestade verlassen und mit ihnen werde ich in den Westen ziehen. Mögen die Menschen, die wir zurücklassen, sich einen würdigen Regenten erwählen.
Eines jedoch soll bleiben. Das große Werk, welches Feanors Vater begann und das er selbst fortführte, der Große Atlas von Tamar, soll einem jedem offen stehen, der ihn zu sehen wünscht. Dies ist das Vermächtnis Feanors, welches er im Andenken an jene hinterlässt, die er Freunde nannte.
Die Kerze beginnt zu verlöschen und sie rufen bereits nach mir. Und so scheide ich mit dem letzten Schiffe. Vielleicht werden die Eldar einst wiederkehren, doch gewiss ist nur, dass sie Tamar nun verlassen. Mögen die Valar über Euch wachen.
gez. im Herbst des Jahres 487
Eonwe, Herold im Dienste Feanors
Nur noch zweimal bekam ich Nachricht von Feanor. Die eine kam aus der Hauptstadt Sirion, wo er hielt, um einige letzte Dinge zu regeln, die andere stammte von einem Seefahrer. Mein Herr schrieb, dass die See ungewöhnlich ruhig war auf ihrem Weg und dass dies wohl ein Zeichen sei, dass die Valar ihm den Weg in den Westen gewähren würden. Die Jahre verstrichen und immer mehr unseres Volkes machten sich auf, Feanor zu folgen. Viele Städte wurden entvölkert und dem Verfall preisgegeben und das einst so große Reich Feanors schrumpfte. Nun ist die Zeit, da die letzten der Eldar diese Gestade verlassen und mit ihnen werde ich in den Westen ziehen. Mögen die Menschen, die wir zurücklassen, sich einen würdigen Regenten erwählen.
Eines jedoch soll bleiben. Das große Werk, welches Feanors Vater begann und das er selbst fortführte, der Große Atlas von Tamar, soll einem jedem offen stehen, der ihn zu sehen wünscht. Dies ist das Vermächtnis Feanors, welches er im Andenken an jene hinterlässt, die er Freunde nannte.
Die Kerze beginnt zu verlöschen und sie rufen bereits nach mir. Und so scheide ich mit dem letzten Schiffe. Vielleicht werden die Eldar einst wiederkehren, doch gewiss ist nur, dass sie Tamar nun verlassen. Mögen die Valar über Euch wachen.
gez. im Herbst des Jahres 487
Eonwe, Herold im Dienste Feanors