Ammon begibt sich nach dem Tagewerk in seine Kemenate, entzündet
einige Kerzen aus Bienenwachs und setzt sich an das Schriftpulte.
Er schreibt an der Chronik der Wanderung der Hermunduren, der
Thoringi, nach Tamar.
1. Kapitel Die Jagd

Geneigte Leserschaft,
meyn Nam' ist Ammon Trunneborg, Kämmerer am Hofe zu Erphesfurt,
undt ich will euch nun berichten über den Leidvollen Wege meines
Herrn und unseres Volkes nach Tamar.
Im Herzen Ewropae ward einst ein Reich genannt das der Hermunduren
unter ihrem König Hermenefried; voll von saftigen Heiden, sanften
Hügeln und dichten Wäldern, in denen noch, so man sich erzählte, allerlei
elbisch Volke aus uralter Zeit verweilte. In einem weiten Becken wand
sich ein zierliches Flüßlein, das wegen seines allseits trüben Wassers
von den Einheimischen Erpf genannt wurde. An einer seichten Stelle
der Erpf war eine kleine Siedlung benebst einem Lehnshofe gelegen.
Herr des Hauses war der gütige Albrecht und sein jüngerer Bruder
Eckewarth. Albrechts Gattin Uthe gebar ihm einen Sohn und wenige Jahre
später segnete sie ihn ein zweites mal mit einer Tochter.
Thoralf und Anne.

Originalquelle Bildmaterial: ZDF Dokumentation "sturm über europa"
...es geht gegen Mitternacht und Ammon hält sich nur noch mühsam wach.
Kurze Zeit später sinkt sein Haupt auf das Schriftpult...die Feder gleitet
zu Boden...Ammons Gedanken reisen im Traume zurück in die alte Heimat,
wo der lange Weg begann...
Es war um die Zeit 525 nach der Zeit des vergangenen
weströmischen Reiches, etwa 371 nach König Abanor zu Tamar.
"AMMON!", hallt die schwere Stimme Eckewarths durch den Hof, "MACHT ALLLES
BEREIT FÜR DIE ANKUNFT KÖNIG HERMENEFRIEDS! Wir werden mit ihm auf eine
Jagd ins Werratale reiten".
Ammon fiel es wieder ein: 'Ei freilich, der König' und es sollte für
den Sohne Albrechts ein besonderer Tag werden. Thoralf war eine Woche
zuvor gerade achtzehn Jahre alt geworden und somit reif genug, um an
einem königlichen Ausritt teilzunehmen.
"Ja Herr", erwiederte Ammon rasch, "ich werd alles veranlassen", und
rief sogleich alle Hofbediensteten zu sich.
Unterdessen probierte der junge Thoralf zum ersten Male einen Kettenwams
in der Rüstkammer an. Anne hatte ihn begleitet und amüsierte sich nun
köstlich über seine gekrümmte Haltung und das viel zu große Eisenhemde:
"Du mustest auch gleich das erstbeste nehmen, weißt du nicht, daß es das
unseres Oheims ist". Wahrlich, Eckewarths Statur glich eher der eines
Schmiedes und nicht der eines jungen Burschen. Thoralf entledigte sich
dieses schweren Gewandes und ging etwas weiter in die Kammer hinein.
Ganz am Ende, unter dem Banner derer zur Erpfe, hing das Kriegsgewand
seines Vaters und daneben ein weiteres, welches er nicht erkennen konnte.
"WUSST ICHS DOCH, DASZ DU DICH HIERO HERUMTREYBEST", durchschnitt eine
ernste Stimme die Stille. Thoralf fuhr erschrocken um, Anne schlug verlegen
die Augen nieder. "Vatter, aber...", Thoralf versuchte zu antworten, aber
da lachte Vater Albrecht donnernd los. "Leg es an, deine liebe Mutter und
deine Schwester haben es zu deinem Geburtstage fertiggestellt. Aber eil dich,
Sunne, denn in eyn paar Stund reiten wir aus".
Als Albrecht die Kammer im Keller verlassen hatte sah Thoralf zu Anne, die sich
das Lachen wieder nicht verwehren konnte."Fürwahr, diese Überraschung ist euch
geglückt, dir und Mutter".
Ammon war völlig aufgelöst als der Bote, den er in Richtung der königlichen
Gefolgschaft sandte, wieder an die Erpf zurückkehrte, mußte er doch alle
Vorbereitungen leiten und die Gemächer der erlauchten Gesellschaft begutachten
noch bevor der König eintraf.
"Se werden in zwee Stund' hirseyen", rief der Bote noch im Sattel sitzend.
Ammon winkte ihm zu...'Das würde reichen um alles rechtzeitig zu schaffen'.
Albrecht, Mutter Uthe, Eckewarth und die junge Anne warteten bereits an der
Hoftreppe auf das Gefolge des Königs als Albrecht sich umsah: "Wo ist Thoralf?"
und warf einen strengen Blick auf seine Tochter. Anne suchte kurz mit ihren
Augen Hilfe bei der Mutter. Albrechts Miene wollte sich gerade verfinstern,
wie sonst, wenn Thoralf etwas ausgefressen hatte, doch da öffnete sich die
Tür am Ende der Treppe und sein Sohn trat hervor.
Uthe schaute hinter sich und alsbald wurd ihr warm ums Herze als sie Thoralf
in dem neuen Gewande sah. Ihr kleiner Sohn war tatsächlich ein Recke geworden,
wie es einem Hermunduren, einem Thüringer gebührte.
Albrecht nickte Thoralf zu: "Komm an meine Seite Sohn, es wird schon Recht sein!"
Da ritt auch schon die königliche Reitershaar in den Hofe.
Hermenefried stieg ab, hielt ohne Umschweife auf Albrecht zu, begrüßte ihn kurz
und fügte hinzu '...er wolle ihn alsbald allein sprechen'.
Eckewarth und Albrecht tauschten fragende Blicke aus. Des Königs
Begrüßung war einst freundschaftlicher gewesen. Hatte ihn also nicht allein
die Lust auf einen stattlichen Hirsch in die Mitte seines Reiches geführt.
Während die königlichen Gesandten und der Hof zur Erpf bei Speis und Trank
zusammensaßen, konnte man von Albrechts Amtsstube über dem Saale hin und
wieder Schritte vernehmen.
Eine Zeit später kamen Hermenefried und Albrecht die Holztreppe herab und
riefen zum Ausritt ins Werratale, doch bemerkte Thoralf, daß sich der
Ausdruck in seines Vaters Antlitz geändert hatte.
Es musste wohl um Reichsangelegenheiten gegangen sein.
Der Ausritt sollte vier Tage dauern. Hier und da konnte Thoralf seinen Vater,
Oheim Eckewarth und den König in ernster Runde beisammen sehen; mal zu Fuß,
mal zu Roß. Er meinte auch einige Wortfetzen verstehen zu können ...daß die
Angeln in das Reich einwanderten....Theoderich der Gotenkönig, Oheim von
Hermenefrieds Gattin, läge im Sterben...
...er hörte Worte über das Merowinger Geschlecht der Franken und den Namen
Hoyer Brandes. Von alldem hatte er noch wenig Ahnung, aber an Hoyer Brandes
konnte sich Thoralf bestens erinnern.
Brandes war ein weiser Mann, ein Warne und schon weit in der Welt gereist.
Oft war er früher Gast am Hofe zur Erpf und hatte ihm als kleinem Jungen
viele Geschichten über fremde Städte, Völker und alte Schlachten erzählt.
Wie Thoralf nun so lauschte sprang urplötzlich ein wuchtiges Tier aus dem
Unterholz auf die Lichtung und hielt auf ihn zu. Die Treiber hatten einen
riesigen Eber rasend gemacht und nun machte sich der ungeheure Schwarzkittel daran
Albrechts Ahnenreihe sein Ende zu bescheren.
So schnell er konnte zog Thoralf seinen Ger vom Sattel und schleuderte ihn mit
voller Kraft wider dem anstürmenden Keiler...gerade noch rechtzeitig, denn das
Biest war dem Burschen schon beinahe auf den Pelz gerückt, und der nächste Baum
ward freilich ein gutes Stück entfernt. So wand sich das Tier noch einige Male
bevor es am eigenen Blute erstickte und der letzte Tag der Jagdgesellschaft sich
zu Ende neigte.
Man saß bei reichlich Met und Fleische beisammen unter freiem Nachthimmel und
feierte den Ausklang eines trefflichen Ausrittes, nur im Zelte des Königs
war ernste Stimmung. Hermenefried saß mit Albrecht und den Markgrafen der an
die Franken grenzenden Ländereien über Karten, Bullen und Botschaften und
berieten die allgemeine Situation des Reiches.
Und sie sollten mit ihrer Sorge recht behalten.
Die Sonne schickt bereits die ersten Strahlen in Ammons Kemenate, wo er noch
immer auf seinem Pulte schläft...trunken vor Müdigkeit reibt er sich die
Augen und hält sich das Kreuze...'Schon wieder eine Nacht nicht im Bette verbracht.
Ei, auf dauer wird mir das die Gicht bescheren', denkt er bei sich und schaut auf
das Pergament. Völlig erstaunt blickt er auf die Zeilen und kann nicht glauben,
daß alles so geschrieben steht, wie er's noch vor Stunden geträumt hatte.
Ammon erhebt sich, schüttelt den Kopf und denkt:
'Wahrlich dies ist eine fremde Welt, wann werd ich mich nur daran gewöhnen'....