Eine Wolke aus dichtem Staub und feinem Geröll legte sich auf die Lungen der drei Männer, als sich die massive Granitplatte unter einem dumpfen Ächzen beiseite schob. „Obacht, Herr!“, mit einer energischen Handbewegung riss der Gefolgsmann seinen Anführer unsanft am Kragen, nicht jedoch ohne ihn dadurch vor einer erneuten Steinlawine zu bewahren.
Baron Nevin Weinheimer wischte sich den Schweiß von der blassen Stirn. Obgleich zur tiefsten Nachtstunde wurde sein Gemüt unausgesetzt von Hitzeschüben heimgesucht. Seinem Diener die grobe Behandlung verzeihend setzte er seinen Stiefel erneut in die finstere Totenhalle.
„Die Fackel Baron, die Fackel!“,
erneut war es einer der zur Treue Verpflichteten, die geistesgegenwärtig genug waren, um inmitten dieses bedrückenden Szenarios die nötige Sorgfalt zu besorgen. „Natürlich Thoralf, verzeiht mir die Unbedachtheit!“.

Bestimmt einige Dutzend male hatte Weinheimer sich diesen Moment in Gedanken ausgemalt, hatte er ihm doch seit der Vertreibung des Geistes von seiner Feste manch schlaflose nacht bereitet. Nun hatte die Stunde geschlagen und zeitgleich mit ihr auch das Herz hinter Weinheimers Kürass, der ihm trotz alledem nicht das Gefühl von Sicherheit bescheren wollte.
Die von Wachs hell brennende Fackel in seiner Hand betrat er den langen Stufengang, der ihn und die beiden Begleiter in die Tiefe geleitete. Der erdige, von Wurzeln und Steinen gesäumte Gang fand sein Ende in einer geräumigen Halle, in deren Mitte eine Anordnung von drei steinernen Podesten thronte.

Hier würde er dem Treiben ein für alle mal ein Ende bereiten. Hatten die Recken während der Feierlichkeiten anlässlich seiner Lehnsherrenwerdung den Geist zwar von der Erdoberfläche vertreiben können, so spiegelte sich sein Bild jedoch in Weinheimers Gedanken wider und erzeugte ein wirres Kabinett aus Bildern und Träumen, die den Verstand des Barons zuweilen sehr belasteten.
Doch damit würde nun abgeschlossen werden, die letzte Ruhestätte des Raubritters bereinigt und dessen Präsenz auf ewig ausgelöscht. „Lasst mich vorangehen, Herr!“.
Thoralf nahm die Fackel, die der Lehnsherr ihm bereitwillig, ja beinahe dankbar entgegenstreckte. Die Schritte des Mannes hallten dumpf auf dem staubigen Steinboden, verklungen dann als er den Schein der Fackel auf das erste Podest niederrichtete. Zuerst wie erstarrt, dann jedoch in einem Anfall von hektischer Bewegung drehte er sich um sich selbst, um auch die anderen Podeste zu beleuchten. Doch das Resultat, so erschreckend es auch war, blieb unverändert.
„Sie sind..., Herr die Toten, sie...sie sind fort!“.

Dem, was seine Ohren ihm darboten keinen Glauben schenken wollend stürmte Weinheimer selbst auf die Sockel zu, jedoch nur um sich in einem Zustand aus Verzweiflung und Ohnmacht wiederzufinden. Dort, wo die Körper der verstorbenen hätten liegen sollen, erstreckte sich nichts als kalte Grabesluft. Weinheimers Hände eilten über die Oberfläche des Podests, gewillt irgendetwas zu ergreifen, was den Aufzeichnungen des Schwarzmagiers gerecht werden würde, deren Auffindung er als wahrhaften Triumph empfunden hatte.
„Herr, wir sind nicht die ersten, die dieses Grab betreten haben!“, Thoralfs Stimme klang wieder gefestigt und ruhig. „Tatsächlich Thoralf, wie überaus scharfsinnig von euch! Meint ihr die Toten schleppen sich selbst am Bande ihres Leichensacks zum Ort ihrer letzten Ruhe? Natürlich war schon einmal jemand hier und zwar zur Bestatt...“.
Gerade als Weinheimer seiner Rage, die aus der Gelassenheit seines Gefolgsmannes erwachsen war freien Lauf lassen wollte, bemerkte er etwas. Dies hier war nicht das Werk von Grabschändern, raffgierigen Plünderern oder anderweitigem Gesindel. „Die Leichensäcke sind ebenfalls fort, nicht wahr?“. Tatsächlich war das Grab leer, nichts, keine noch so banale und wertlose Auffindung.

„Thoralf“, Weinheimer wurde bestimmter, “lasset eine Bekanntgebung verlauten: Jeder Recke der kampferfahren, scharfsinnig und guten Mutes ist, soll der Suche nach den Toten beiwohnen. Wir brechen morgen noch auf!“